• 8. April 2024

Dirk Ippen, Verleger

„Wir müssen weiter mutig unsere Meinung schreiben!“

Dirk Ippen, Verleger

Dirk Ippen, Verleger 150 150 Sven Lilienström

„Wir müssen weiter mutig unsere Meinung schreiben!“

Die Pressefreiheit ist eine der tragenden Säulen der Demokratie. Der Schutz dieser durch Artikel 5 des Grundgesetzes zeigt, wie unverzichtbar die tägliche Arbeit unserer Journalistinnen und Journalisten ist. Umso unverständlicher – mehr noch – umso trauriger ist es, dass zunehmend etablierte Medienhäuser in Deutschland pauschal als Alt-, System- oder Mainstreammedien beschimpft werden. Als „gleichgeschaltete“ Lügenpresse oder Zwangsgebühren-Eintreiber. Stellt sich die Frage: Was tun, gegen derartige Beleidigungen, Bedrohungen oder gar Repressalien? Darüber und mehr haben wir von der Initiative Gesichter der Demokratie mit dem Verleger Dr. Dirk Ippen (83) in einem seiner seltenen Interviews gesprochen.

Dirk Ippen | © picture alliance/dpa | Sven Hoppe

Der Verleger Dr. Dirk Ippen | © picture alliance/dpa/Sven Hoppe

Herr Dr. Ippen, seit mittlerweile sieben Jahren lautet die erste unserer sieben Fragen immer: Was bedeuten Demokratie und demokratische Werte für Sie ganz persönlich?

Dirk Ippen: Demokratie ist für mich vor allem das, was im Grundgesetz meiner Meinung nach genial zusammengefasst ist: Die Garantie der Menschenwürde, der Freiheits- und Persönlichkeitsentfaltung sowie die Teilung der Macht. In einem Verfassungsstaat, wie dem unseren, ist die staatliche Gewalt in mehrere Gewalten aufgeteilt – in Legislative, Exekutive und Judikative. Diese drei Instanzen garantieren, dass die Bürgerinnen und Bürger dem Staat nicht willkürlich ausgeliefert sind. Die Gewaltenteilung ist für mich noch wichtiger, als die Stellung der Parteien. Diese werden zwar ebenfalls im Grundgesetz unter Artikel 21 erwähnt, aber nur mit dem bescheidenen Satz: „Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.“ Mittlerweile haben wir uns sehr zum Parteienstaat entwickelt. Das ist vielleicht unvermeidlich.

Das Grundgesetz ist für mich die Grundlage der Demokratie – ich baue und vertraue darauf und bin dankbar, dass ich jetzt schon fast 80 Jahre in einem demokratischen Staat leben durfte!

Doch zurück zur Frage: Das Grundgesetz ist für mich die Grundlage der Demokratie – ich baue und vertraue darauf und bin dankbar, dass ich jetzt schon fast 80 Jahre in einem solchen demokratischen Staat leben durfte!

Eine aktuelle Studie des Instituts für Publizistik an der Johannes-Gutenberg-Universität hat den Münchner Merkur als „ausgewogenstes Medium des Landes“ gekürt. Waren Sie überrascht?

Dirk Ippen: Ich habe das natürlich sehr erfreut zur Kenntnis genommen. Man muss sich nicht schämen, wenn man auch einmal über Gebühr gelobt wird. Ob wir nun wirklich das unabhängigste Medium des ganzen Landes sind, das weiß ich nicht. Aber ich habe mich deswegen gefreut, weil ich darin eine Bestätigung unserer Arbeit sehe.

Als ich vor 40 Jahren den Münchener Merkur übernahm, segelte dieser sehr stark im Fahrwasser der CSU. Das war nicht schlimm, aber auch nicht gut.

Als ich vor 40 Jahren den Münchener Merkur übernahm, segelte dieser sehr stark im Fahrwasser der CSU. Das war nicht schlimm, aber auch nicht gut, denn die Leser wollen eine von allen Seiten unabhängige Zeitung. Wir sehen diese Auszeichnung daher als eine Bestätigung unserer Arbeit, die den Leser immer in den Mittelpunkt stellt. Wir wollten und wollen bürgernah und sozial engagiert sein. Und wir stehen auf der Seite des „normalen“ Bürgers und lehnen alle Tendenzen von rechts bis links ab. Wenn die Arbeit der Redaktion, mit der mich sehr viel – auch kollegial – verbindet, anerkannt wird, das freut mich natürlich.

Traurig: Auch in Deutschland bestimmen Beleidigungen, Bedrohungen und Repressalien zunehmend den Alltag unserer Journalisten und Journalistinnen. Wie können wir die Pressefreiheit besser schützen?

Dirk Ippen: Solange wir einen funktionierenden Rechtsstaat und das Grundgesetz haben, ist die Pressefreiheit durch Artikel 5 sehr gut geschützt. Auch in der Praxis: Die Presse genießt bei den Gerichten eine sehr große Freiheit – zum Glück. Wir müssen weiter mutig unsere Meinung schreiben und dürfen uns nicht einschüchtern lassen. Es sind ja nicht nur Gemeinheiten, die uns entgegengebracht werden, sondern auch falsche Behauptungen.

Wir haben alleine in Deutschland immer noch 150 unabhängige Redaktionen, die dafür sorgen, dass nicht unisono irgendein Quatsch geschrieben wird!

Da wird dann gerne mal das Wort „Lügenpresse“ in den Raum gestellt, aber verschwiegen, dass wir alleine in Deutschland immer noch 150 unabhängige Redaktionen haben, die dafür sorgen, dass nicht unisono irgendein Quatsch geschrieben wird.

Ich vertraue darauf, dass die hohe Glaubwürdigkeit, die Tageszeitungen bei ihren Leserinnen und Lesern laut Umfragen unverändert haben, uns stark genug macht, uns diesen Dingen zu entziehen. Zum Glück ist es jetzt vorbei, aber monatelang haben bei uns jeden Freitag Menschen vorm Pressehaus demonstriert – die waren friedlich. Ich würde sagen, eher harmlose Spinner. Ich habe nie genau verstanden, was sie eigentlich wollten. Aber so etwas gibt es halt, damit muss man klarkommen. Wenn man früher den Springer-Verlag in Berlin besuchte, dann war das alles ein Hochsicherheitstrakt. Bei uns ist das zum Glück nicht so. Hoffen wir, dass es auch so bleibt!

Zwischenfrage: Stellen Sie fest, dass Journalistinnen und Journalisten vermehrt Bedenken haben, über bestimmte Dinge zu schreiben?

Ja doch, das ist leider so. Es stimmt schon, dass wir uns zum Teil mehr „disziplinieren“ müssen in der Art und Weise, wie wir über bestimmte Dinge berichten, als das vor einigen Jahren der Fall war. Leider ist es mittlerweile auch so, dass die Presse nicht selten ein wenig unisono daherkommt.

Wenn keiner mehr wagt, etwas zu sagen oder zu schreiben, weil bestimmte Dinge einfach tabuisiert werden, dann halte ich das für gefährlich.

Der Begriff „Political Correctness“ ist gefährlich für die Pressefreiheit. Wenn keiner mehr wagt, etwas zu sagen oder zu schreiben, weil bestimmte Dinge einfach tabuisiert werden, dann halte ich das für gefährlich.

Sie sind 1940 – also inmitten des Zweiten Weltkrieges – geboren. Wie haben Sie als junger Mensch die Jahre der ebenfalls noch jungen Demokratie der Bundesrepublik Deutschland erlebt?

Dirk Ippen: Ich habe die Entwicklung vom Besatzungsland, in dem die ausländischen Truppen überall präsent und wir die Kriegsverlierer waren, hin zu einem anerkannten zu einem Mitglied der westlichen Staatengemeinschaft als großes Glück empfunden. Die Zeit des Aufbruchs und des Wandels haben wir alle als sehr positiv wahrgenommen – insbesondere wir Kinder und jungen Leute. Natürlich hatte ich auch Glück, dass schon mein Vater Zeitungsverleger war und ich dadurch Menschen wie Konrad Adenauer und Ludwig Erhardt treffen konnte. Ich war ein Heranwachsender. Und die haben mir die Hand gegeben. Die haben sich natürlich nicht mit mir unterhalten, aber ich habe es als wunderbar empfunden, so nah mit diesem Staat verbunden zu sein.

Ich habe gespürt: Da gibt es eine neue Generation im noch jungen Europa – eine Generation die eint und verbindet!

Und dann kam die Zeit, in der wir als Schüler meist mit dem Fahrrad oder einem kleinen Auto und einem Zelt nach Frankreich, Holland oder Belgien gefahren sind. Und trotz des furchtbaren Krieges, in dem die Deutschen diesen Länder Furchtbares angetan haben, habe ich es sehr genossen, dass wir dort von den jungen Leuten freundschaftlich und mit offenen Armen aufgenommen wurden. Ich habe gespürt: Da gibt es eine neue Generation im noch jungen Europa – eine Generation die eint und verbindet!

Zwischenfrage: Spüren Sie diese „Aufbruchstimmung“ auch heute noch bei der jungen Generation oder ist diese durch Krisen und Zukunftsängste eher getrübt?

Dafür gibt es keinen Grund. Die soliden Grundlagen von damals wirken bis heute fort. Bei allem, was uns an der Entwicklung nicht gefallen mag – die Grundlagen, auf denen dieses Land steht, sind aufrichtig und gut. Das gilt auch für die Parteienlandschaft – mal abgesehen von der AfD und solchen schrecklichen Auswüchsen. Und ich bin sicherlich kein Fan der Grünen, aber auch sie stehen moralisch auf sehr festem Grund!

Die Nachkriegsgeneration gilt gemeinhin als sehr fleißig und strebsam. Wie blicken Sie vor diesem Hintergrund auf die „Generation Z“, die Vier-Tage-Woche und das Arbeiten im Homeoffice?

Dirk Ippen: Wir haben schon Schwierigkeiten die Fünf-Tage-Woche einzuhalten.

Eine Zeitung, die sechsmal pro Woche erscheint, können Sie nicht in vier Tagen machen. Sie können diese ja nur mühselig in fünf Tagen machen.

Eine Zeitung, die sechsmal pro Woche erscheint, können Sie nicht in vier Tagen machen. Sie können diese ja nur mühselig in fünf Tagen machen. Da mache ich mir echte Sorgen. Ich habe neulich eine Statistik gelesen, dass in Deutschland noch nie so wenig gearbeitet wurde, wie im letzten Jahr. Natürlich haben wir enorme technologische Fortschritte gemacht, da kann man auch weniger arbeiten. Aber nicht, wenn gleichzeitig die Produktivität in unserem Land sinkt. Und warum sinkt die? Weil immer mehr bürokratische Tätigkeiten unsere Arbeitszeit in Anspruch nehmen, also Tätigkeiten, die nicht wirklich zum Kern des Produktiven zählen. Und da sehe ich eine ganz große Gefahr – die Bürokratie nimmt einen immer größeren Raum ein. Zwar betonen stets alle, die Bürokratie abschaffen und minimieren zu wollen, das funktioniert aber nicht, wenn ständig neue Gesetze gemacht werden. Denn die Gesetze müssen ja auch verwaltet werden.

Wenn Sie sich das Cannabis-Gesetz jetzt aber ansehen, dann ist das so ein gequälter Zirkus, dass ich mich frage, wer soll das je kontrollieren?

Nehmen Sie mal das Cannabis-Gesetz. Das habe ich als liberal denkender Mensch eigentlich positiv gesehen. Wenn Sie sich das Gesetz jetzt aber ansehen, dann ist das so ein gequälter Zirkus, dass ich mich frage, wer soll das je kontrollieren? Drei Hanfpflanzen darf ich auf dem Balkon anpflanzen, vier aber nicht. In einem bestimmten Umkreis ist der Konsum erlaubt, in der Nähe von Spielplätzen und Schulen darf ich das nicht. Das sind alles gut gemeinte Vorschriften, aber die lassen sich gar nicht kontrollieren. Und wenn man die kontrollieren will, bedeutet das einen unglaublichen Arbeitsaufwand für die Polizei. Das ist Wahnsinn! In dieser Form sage ich, wäre das ganze Gesetz besser gar nicht erst in Kraft getreten. Obwohl ich grundsätzlich – anders als viele konservative Menschen – für eine Liberalisierung von Cannabis bin. Aber bitte nicht so, das ist ein totaler Humbug!

2021 recherchierte Ihr Verlag in der Causa Springer. Zwei Jahre später ist Reichelt prominenter Scharfmacher hinter NIUS – der BILD in Böse. War „Ippen Investigativ“ unfreiwilliger Geburtshelfer von NIUS?

Dirk Ippen: Das wollte ich vor allem nicht. Fest steht: Als die Recherchen stattfanden, da waren die Reichelt-Übergriffe schon publik. Reichelt hätte viel früher bei Springer rausgeschmissen werden müssen. Diejenigen, die das für uns recherchiert haben, waren von BuzzFeed. Ich kannte diese Journalisten gar nicht und war deswegen auch etwas skeptisch, ob die Recherchen wirklich alle fundiert sind.

Ich habe nicht an Reichelt gedacht. Der war mir vollkommen egal. Aber ich hatte Bedenken – vielleicht war ich da im Nachhinein zu vorsichtig.

Und dann musste ich an die Interessen unseres Verlages denken. Ich habe nicht an Reichelt gedacht. Der war mir vollkommen egal. Aber ich hatte Bedenken – vielleicht war ich da im Nachhinein zu vorsichtig.

Diese BuzzFeed-Leute sagten immer, dass käme alles auch in der New York Times. Zu der Zeit hatte Springer gerade erst POLITICO übernommen, einen Wettbewerber der New York Times. Ich sah es schon vor mir, dass wir in den USA von POLITICO oder Springer wegen Rufschädigung verklagt werden, wenn das nicht stimmt, was wir publizieren. Das hat mich dazu bewegt, zu sagen, dann soll doch erstmal die New York Times das veröffentlichen, da müssen wir jetzt nicht Vorreiter sein. Das hat mir hinterher leidgetan – aber vielleicht war es doch gut so.

Normalerweise habe ich mein ganzes Leben keine kritische Recherche verhindert, ganz im Gegenteil, ich habe mich immer darüber gefreut und gefordert, dass wir kritisch recherchieren.

Wir sind eine Verlagsgruppe mit einigen tausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, da liegt es auch in meiner Verantwortung wirtschaftliche Gefahren von eben dieser Gruppe fernzuhalten. Das habe ich vielleicht ein bisschen überzogen. Normalerweise habe ich mein ganzes Leben keine kritische Recherche verhindert, ganz im Gegenteil, ich habe mich immer darüber gefreut und gefordert, dass wir kritisch recherchieren.

Zwischenfrage: Julian Reichelt ist aber nicht im Nirvana verschwunden, sondern immer noch gut im Geschäft beziehungsweise Gespräch, oder? Ärgert Sie das?

Ob er im Geschäft ist, weiß ich nicht – aber er ist im Gespräch. Das ist natürlich nicht erfreulich, denn ich bin mir nicht sicher, ob das alles so seriös ist, was da von Herrn Reichelt kommt.

Herr Dr. Ippen, Ihre Hobbies sind das Wandern und Lesen – eine gute Kombination um Körper und Geist auch als bald Mitachtziger fit und gesund zu halten. Was bedeutet älter werden für Sie?

Dirk Ippen: Gesund älter werden – das ist ein ganz großes Glück. Ich genieße es und sehe heute Dinge, an denen ich früher vorbeigegangen bin. Ich sehe heute die Natur viel intensiver, als ich sie früher gesehen habe. Außerdem genieße ich es auch, nicht mehr alles selber machen zu müssen. Während meines gesamten Berufslebens habe ich mich immer allen Herausforderungen gestellt – jetzt kann ich meinen Nachfolger sowie die Kolleginnen und Kollegen aus den Teams begleiten, motivieren und unterstützen. Das gefällt mir sehr gut.

Im Alter habe ich etwas gewonnen, was einem in der Jugend meist verwehrt bleibt – die innere Freiheit!

Altmeister Goethe hat einmal ganz treffend formuliert: „Soll dich das Alter nicht verneinen, so musst du‘s gut mit andern meinen; musst viele fördern manchem nützen, das wird dich vor Vernichtung schützen.“ Das ist etwas, das ich seit vielen Jahren beherzige – auch mit meiner Stiftung, die ich seit 20 Jahren mit Kapital ausstatte, oder mit Unternehmensbeteiligungen außerhalb des Zeitungsbereiches. Ich brauche das alles nicht mehr, aber mir macht es Freude, diejenigen zu fördern, die jetzt oder zukünftig Unternehmensverantwortung übernehmen – die nächste, die junge Generation. Im Alter habe ich somit etwas gewonnen, was einem in der Jugend meist verwehrt bleibt – die innere Freiheit!

Vielen Dank für das Interview Herr Dr. Ippen!

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