„Unternehmer können es sich nicht mehr leisten, politisch unsichtbar zu sein!“
Marie-Christine Ostermann ist seit dem Frühjahr 2023 Präsidentin des Verbands „Die Familienunternehmer“. Damit ist die 45-jährige Diplom-Betriebswirtin die erste Frau an der Spitze des Verbands seit dessen Gründung vor über 70 Jahren. Sven Lilienström, Gründer der Initiative Gesichter der Demokratie, sprach mit Marie-Christine Ostermann über Demokratie, Frauenquote und die Frage, ob und inwieweit sich Unternehmer*innen in politische Debatten einmischen sollten.
Frau Ostermann, toll, dass wir mit Ihnen über das Thema Demokratie sprechen dürfen. Kommen wir direkt zu Sache: Welchen Stellenwert haben Demokratie und demokratische Werte für Sie ganz persönlich?
Marie-Christine Ostermann: Demokratie ist für mich ohne jeden Zweifel das beste aller politischen Systeme. Grundlage ist für mich das Grundgesetz, die beste Verfassung, die Deutschland in seiner Geschichte hatte. Aber auch ein gutes Recht muss gelebt und verteidigt werden. „Demokratie“ als Staatsform setzt sich aus mehreren grundlegenden Elementen zusammen: Für mich persönlich sind die für jedes Individuum geltenden Menschenrechte ganz vorne. Dazu gehören noch regelmäßige demokratische Wahlen und eine Gewaltenteilung (mit einer wirklich unabhängigen Justiz!). Ganz wichtig ist auch die Pressefreiheit, wozu unbedingt eine unabhängige Presse gehört sowie die Meinungsfreiheit. Und die Freiheit, dass jeder sein Leben im Grundsatz frei gestalten darf – bis an die Grenzen des den anderen Zumutbaren.
Ich halte es für eine schlechte Idee, einzelne Parteien nur aus Protest zu wählen!
Das alles sind demokratische Strukturen wie auch Werte, deren Bedeutung gar nicht hoch genug geschätzt werden kann. Sie gelten bei uns in einem Land, das von Parteien regiert wird, die auf demokratischem Weg in freien Wahlen direkt die Mehrheit der Stimmberechtigten von ihrem Wahlprogramm überzeugen müssen. Ein sehr kluges System. Ich empfinde es als Bürgerpflicht, zumindest durch Ausübung meines Wahlrechts aktiv am Funktionieren und Erhalt unserer Demokratie mitzuwirken. Aus Gleichgültigkeit oder Protest mein Wahlrecht nicht auszuüben, indem ich nicht wähle, ist für die Demokratie keine gute Entscheidung. Ich halte es auch für eine schlechte Idee, einzelne Parteien nur aus Protest zu wählen.
Zahlreiche Unternehmen haben mit gestiegenen Preisen für Vorprodukte, Rohstoffe oder Energie zu kämpfen. Wie geht es den Familienunternehmern in Deutschland aktuell? Wie ist der Ausblick auf die nächsten Jahre?
Marie-Christine Ostermann: Die gestiegenen Kosten gerade der Energie sind eine große Belastung für die Familienunternehmen in Deutschland. Sie drücken schwer auf unsere Wettbewerbsfähigkeit. Mehr als die Hälfte unserer Mitglieder hat in einer Umfrage angegeben, ihr Unternehmen unter den derzeitigen Umständen nicht noch einmal in Deutschland aufbauen zu wollen.
Eine Deindustrialisierung hat bereits begonnen und vermehrt werden viel mehr Firmen als heute in Teilen oder komplett ins Ausland abwandern.
Eine Deindustrialisierung hat bereits begonnen und vermehrt werden viel mehr Firmen als heute in Teilen oder komplett ins Ausland abwandern, wenn sich die Rahmenbedingungen in unserem Land nicht durch Kostensenkungen, Bürokratieabbau und strukturelle Reformen verbessern. Und diese Reformen müssen bald geschehen. Unser Standort muss durch Angebotspolitik wieder wettbewerbsfähig gemacht werden. Mit Blick auf Steuern, Abgaben, Energiekosten und Bürokratie brauchen wir schnell ein Kostensenkungsgesetz.
Sie sind seit April 2023 Präsidentin des Verbands „Die Familienunternehmer“. Was genau haben Sie sich für Ihre zweijährige erste Amtszeit vorgenommen? Welche Themen liegen Ihnen besonders am Herzen?
Marie-Christine Ostermann: Mir ist es wichtig, den Familienunternehmen in Deutschland ein Gesicht und eine hörbare Stimme zu geben. Mein Ziel ist, noch viel mehr Familienunternehmer zu motivieren, sich auch gesellschaftlich und politisch mit zu engagieren.
Kein Unternehmer und keine Unternehmerin kann es sich in der aktuellen Situation noch leisten, politisch abstinent und unsichtbar zu sein!
Kein Unternehmer und keine Unternehmerin kann es sich in der aktuellen Situation noch leisten, politisch abstinent und unsichtbar zu sein. Wir müssen uns aktiv in die politischen Debatten einmischen, um bessere Rahmenbedingungen für das Unternehmertum zu erreichen. Außerdem brauchen wir moderne Bildung, weniger Bürokratie, zukunftsfähige Energieversorgung, attraktivere Steuer- und Abgabensätze sowie solide Staatsfinanzen. Wichtig ist mir zudem eine Politik zur Rettung des globalen Klimas mit marktwirtschaftlichen Instrumenten sowie eine Standortpolitik, die in Bezug auf Digitalisierung einen intelligenten Rechtsrahmen setzt.
Stichwort „Gender Equality“: Sie sind die erste Frau an der Spitze des Verbands seit dessen Gründung vor über 70 Jahren. Ist das jetzt eher negativ oder positiv zu werten? Warum bisher diese Männerdominanz?
Marie-Christine Ostermann: Da war kein System dahinter. In Deutschland herrscht nach wie vor insgesamt noch ein sehr tradiertes Rollenverständnis. Meistens macht der Mann die Karriere und die Frau kümmert sich um die Kinder. Das galt auch lange so für das Unternehmertum, also waren auch eher Männer Mitglied in unserem Verband. Es ist ein großes Problem, dass die Betreuungsmöglichkeiten für Kinder in unserem Land nicht ausreichen, so dass aus diesem Grund viel zu viele Frauen oft nur in Teilzeit arbeiten.
Sichtbare weibliche Vorbilder sind auch im Unternehmertum noch rar, aber sehr motivierend und wichtig für junge Frauen.
Auch das Bildungssystem ist veraltet. Mädchen werden in der Schule oft zu wenig in ihrem Selbstbewusstsein gestärkt und zu wenig für MINT-Berufe begeistert, wo die Karrierechancen besonders groß sind. Sichtbare weibliche Vorbilder sind auch im Unternehmertum noch rar, aber sehr motivierend und wichtig für junge Frauen. Auch deshalb habe ich sofort sehr gerne ja gesagt zum Präsidentenamt der Familienunternehmer. Diversität ist wichtig und divers geführte und besetzte Teams kommen meist zu den besten Ergebnissen. Ich finde, es ein sehr gutes Zeichen, dass unser Verband jetzt auch mal von einer Frau geführt wird. Ich bringe manch andere Perspektive mit als meine männlichen Vorgänger. Das muss nicht besser sein, aber eben anders.
In einem Interview haben Sie kürzlich die Frauenquote als „Schaufensterpolitik“ kritisiert. Warum sind Sie gegen eine Frauenquote und was schlagen Sie vor, um den Anteil der weiblichen Führungskräfte zu erhöhen?
Marie-Christine Ostermann: Eine Quote ist reine Kosmetik, betrifft nur wenige Frauen und setzt nicht an der Wurzel der Probleme an. Wir müssen stattdessen die Rahmenbedingungen in unserem Land verbessern.
Statt Studiengänge verstärkt zu fördern, sollte unser Staat besser mehr Geld für Kitaplätze bereitstellen!
Statt Studiengänge verstärkt zu fördern, sollte unser Staat besser mehr Geld für Kitaplätze bereitstellen, damit viel mehr Kinder besser betreut werden können. Das erhöht auch die Chancengerechtigkeit, denn die Zukunftschancen werden zum Großteil in ganz jungem Alter und auch mit den sprachlichen Fähigkeiten gesetzt. Falsche Anreize wie das Ehegattensplitting gehören abgeschafft. Mehr Frauen müssen für Technik-Berufe begeistert werden. Persönlichkeitsentwicklung muss ebenso wie Wirtschafts- und Finanzthemen flächendeckend Bestandteil des Unterrichts in den Schulen werden. Durch den Fachkräftemangel können wir es uns nicht mehr leisten, auf gut ausgebildete Frauen in den Führungspositionen zu verzichten. Natürlich brauchen wir auch dort, wo es möglich ist, Flexibilität in den Unternehmen, so dass Karrieren von Eltern und Familie besser vereinbar sind. Ich sage hier ausdrücklich Eltern, denn es muss heutzutage ohne Wenn und Aber auch der Vater sein können, der zuhause bleibt, um seine kranken Kinder oder deren pflegebedürftige Großeltern zu versorgen.
Das Demokratiefördergesetz soll Projekte stärken, die sich für eine starke Demokratie und gegen Extremismus einsetzen. Doch noch im März 2023 hat Ihr Verband Nachbesserungen gefordert. Was kritisieren Sie genau?
Marie-Christine Ostermann: Während überall nach Transparenz verlangt wird, ist bislang genau diese beim Demokratiefördergesetz zu wenig berücksichtigt.
Das Demokratiefördergesetz in seiner jetzigen Fassung wird der Verantwortung gegenüber dem Steuerzahler nicht gerecht.
Das Demokratiefördergesetz in seiner jetzigen Fassung wird der Verantwortung gegenüber dem Steuerzahler nicht gerecht: Während etwa politische Stiftungen sowohl an ein Eintreten für die demokratische Grundordnung gebunden als auch bis auf den letzten Cent rechenschaftspflichtig sind, fehlen bei der geplanten Vergabe von jährlich 200 Millionen Euro bislang entsprechende, bereits im Gesetz verankerte Vorkehrungen. Das Gesetz schafft neben dem bewährten Fördersystem eine zusätzliche Förderung, ohne gleichzeitig sicherzustellen, dass die Mittel nicht an extremistische oder am Rande der Gesellschaft stehende Gruppierungen fließen. Deshalb fordern wir, dass bereits in diesem Gesetz festgeschrieben wird, dass Antragssteller und deren Partner sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen müssen. Außerdem sollten entsprechende Überprüfungsmechanismen implementiert werden, die auch die geförderten Projekte entsprechend evaluieren.
Frau Ostermann, in Ihrer Freizeit klettern Sie gerne. In der Annahme, dass sowohl der Klettersport als auch das Unternehmertum ähnliche Charaktereigenschaften erfordert: Sind Frauen die „besseren“ Kletterer?
Marie-Christine Ostermann: Unabhängig vom Geschlecht können alle Menschen sehr gute Kletterer und auch Unternehmer sein. Frauen haben meistens weniger Körperkraft als Männer und müssen somit intelligente Klettertechnik einsetzen, um hoch hinaus zu kommen. Das ist schlau, denn es kostet weniger Energie und Anstrengung.
Nicht die stärkste Kraft gewinnt meistens, sondern die cleverste und geübteste Technik, die Kräfte spart!
Das lässt sich eins zu eins aufs Unternehmertum übertragen. Nicht die stärkste Kraft gewinnt meistens, sondern die cleverste und geübteste Technik, die Kräfte spart.