„Wenn man sich vermummt, dann dient es dazu, Straftaten zu begehen!“
Anfang Juli fand in Hamburg der G20-Gipfel statt. Unter Leitung der Hamburger Polizei waren mehr als 15.000 Polizistinnen und Polizisten im Einsatz, um die Sicherheit der angereisten 20 Staats- und Regierungschefs der führenden Industrie- und Schwellenländer und deren Delegationen zu gewährleisten sowie das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit zu schützen. Sven Lilienström, Gründer der Initiative Gesichter der Demokratie, sprach mit Ralf Martin Meyer über Demokratie, Demonstrationen und Sicherheit im Rahmen des G20-Gipfels.
Herr Meyer, welchen Stellenwert haben Demokratie und demokratische Werte für Sie ganz persönlich?
Ralf Martin Meyer: Wenn ich über unser System nachdenke, würde ich den Begriff „freiheitlich demokratische Grundordnung“ wählen. Für mich hat dieses System einen sehr hohen Stellenwert.
Im Vergleich zu anderen Ländern der Welt sieht man, dass – bei allen Grenzen – die Situation in der Bundesrepublik von vielen Menschen als führend und als sehr erstrebenswert angesehen wird. Daher glaube ich, dass solange es nichts Besseres gibt, unsere freiheitlich demokratische Grundordnung mit unseren demokratischen Werten einen sehr hohen Stellenwert hat. Grenzen treten natürlich bei der Frage der Mehrheit zu Tage, im Verhältnis zu den Chancen der Minderheiten. Im Moment verfolgen wir dies bei sehr vielen Wahlen, bei denen es vermehrt zu Pattsituationen kommt, die beispielsweise zu großen Koalitionen führen, die aufgrund von dann nötigen Kompromissen eventuell bei vielen in der Bevölkerung nicht ganz so zufriedenstellende Ergebnisse befördert. Aber ich denke insgesamt spricht es nicht gegen das System.
Die Situation in der Bundesrepublik wird von vielen Menschen als führend und als sehr erstrebenswert angesehen.
Außerdem gehört sicherlich noch mehr dazu als die Demokratie. Auch die Frage der Menschenrechte, der Rechte des Einzelnen, die Rechtsweggarantie, die Frage der Rechte für Minderheiten. Natürlich hat die Demokratie hier auch ihre Grenzen, wenn ich da an die Fünf-Prozent-Klausel denke. Aber ich glaube da entwickeln wir uns in unserem Land freiheitlich dynamisch weiter – auch das gehört für mich zu den Dingen, die ich schätze und die einen hohen Stellenwert haben. Nehmen wir nur die direkte Bürgerbeteiligung, die in den letzten Jahren gewachsen ist. Aber auch hier gibt es Chancen und Risiken!
Die Demokratie befindet sich in einem Spannungsfeld von Freiheit und Sicherheit. Laut YouGov-Umfrage sprach sich zuletzt eine Mehrheit der Bundesbürger für mehr Polizei und Videoüberwachung aus. Wie viel Sicherheit brauchen wir, um uns frei zu fühlen?
Ralf Martin Meyer: Die Frage sollte man losgelöst von einzelnen Ereignissen bewerten. Denn nach bestimmten Ereignissen ist das Sicherheitsbedürfnis in der Bevölkerung besonders hoch.
Generell wird Videoüberwachung in Deutschland eher zurückhaltend genutzt. Aber die Diskussion in der Bevölkerung nimmt auch aufgrund der medialen Berichterstattungen stetig zu, sei es bei den Befürwortern oder den Gegnern.
Ich denke, man muss immer wieder das Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit austarieren, wenn es um Terror oder Terroranschläge – aber auch wenn es um andere Straftaten geht, wie zum Beispiel dem Wohnungseinbruch, der das Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger in den letzten Jahren stark beeinträchtigt hat.
Als Sicherheitsbehörde ist es unsere Aufgabe, zu prüfen, wie hier gegengesteuert werden kann. Als Beispiel möchte ich die Frage der Überwachung der Telekommunikation von Einbrechern anführen. Hier wurde erkannt, dass die bisherigen Gesetze nicht ausreichten und es wurde dementsprechend gehandelt, um Telekommunikationsdaten zwecks Serienerkennung auswerten zu können.
Ich glaube, die jetzige Gesetzgebung gibt ein Stück mehr Sicherheit und beschränkt in keiner Weise die Vielzahl der Bundesbürger, die mit dem Thema überhaupt nichts zu tun haben, auch wenn öffentlich immer wieder ein gegenteiliger Eindruck erweckt wird.
Ich glaube, die jetzige Gesetzgebung gibt ein Stück mehr Sicherheit und beschränkt in keiner Weise die Vielzahl der Bundesbürger, die mit dem Thema überhaupt nichts zu tun haben.
Die Tatsache, dass Telekommunikationsunternehmen Daten erst nach einer Frist von Wochen löschen, heißt noch lange nicht, dass Sicherheitsbehörden darauf zugreifen. Hier sehe ich ein Wissensdefizit in der Bevölkerung durch eine begrenzte mediale Darstellung.
Ich glaube, dass dies ein gutes Beispiel dafür ist, dass wir mehr Sicherheit erzielen können, ohne dass dadurch mehr Freiheit aufgegeben wird. Die Frage nach dem Spannungsfeld kann meines Erachtens niemals endgültig für jedermann zufriedenstellend beantwortet werden.
Freiheit ist nicht nur ein Kernelement von Demokratien, sie bestimmt ebenso den Unterschied zu Autokratien. Ist unsere Demokratie gefestigt genug, die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit je nach Gefährdungslage auszutarieren?
Ralf Martin Meyer: Diese Frage kann ich mit einem eindeutigen Ja beantworten. Unsere Demokratie ist gefestigt genug, um die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit innerhalb unseres parlamentarischen Systems angemessen auf die jeweilige Gefährdungslage oder Gefahrensituation auszutarieren.
In der Vergangenheit haben Prozesse immer wieder deutlich gemacht, dass die bestehenden Mehrheitsverhältnisse in den verschiedenen Entscheidungsstufen wie Initiativen der Länder, des Bundes sowie der Beteiligung des Bunderates aber auch der Parlamente sehr gut in der Lage sind, bestimmte Dinge zuzulassen oder auch bestimmte Dinge zu beschränken oder nicht zuzulassen.
Die Formen, in denen Protest zum Ausdruck gebracht wird, sind vielseitig. Während appellative Proteste nahezu konstant bleiben, nimmt der Anteil konfrontativer und gewaltförmiger Proteste zu. Wie erklären Sie sich diesen Anstieg?
Ralf Martin Meyer: Ob das wirklich dramatisch zunimmt, stelle ich in Frage!
Wir stellen immer wieder fest, dass wir im Jahresverlauf wenig problematische Demonstrationen haben. Dem gegenüber stehen viele bunte beziehungsweise friedliche Versammlungen. Wir verzeichnen zwar in den letzten Jahren einen leichten Anstieg, der bezieht sich aber nicht unbedingt auf gewalttätige Versammlungen. Die Austragung des G20-Gipfels in Hamburg dürfte 2017 eine Ausnahme sein.
Es gibt eben extremen Protest bis hin zu Extremisten oder – wie wir es kürzlich erlebt haben – reisende Gewalttäter, sogar mit Hooligan-Hintergrund und Zerstörungswillen.
Ich denke, man darf dies jetzt aber nicht zu sehr auf ein Niveau heben. Fakt ist jedenfalls, dass wir überwiegend eben keine gewaltförmigen Proteste haben. Ich glaube, dass die Ausschreitungen im Zusammenhang mit dem G20-Gipfel eine Ausnahmesituation darstellen. Aber wir müssen mit dem ablehnenden Protest oder mit linksextremistischer Gewalt umgehen. Hier ist aus meiner Sicht neben Sicherheitsaspekten auch soziologisch noch einiges zu tun. Statistische Werte lassen hier kein quantitatives Problem erkennen.
Meiner Meinung nach muss man über Mittel und Wege nachdenken, die diesen Gewalttourismus stärker begrenzen. Denn dieser hat jetzt gerade im Sicherheitsgefühl beziehungsweise in der Seele vieler Menschen einen tiefen Eindruck hinterlassen – und wird noch lange nachwirken!
Nach G20 stellt sich nun die Frage über den weiteren Umgang mit reisenden Gewalttätern. Meiner Meinung nach muss man über Mittel und Wege nachdenken, die diesen Gewalttourismus stärker begrenzen. Denn dieser hat jetzt gerade im Sicherheitsgefühl beziehungsweise in der Seele vieler Menschen einen tiefen Eindruck hinterlassen – und wird noch lange nachwirken. Wir müssen hier überlegen, wie wir diese ausufernde Gewalt künftig beschränken oder begrenzen. Diese Gewaltexzesse haben aus meiner Sicht nicht viel mit politischer Aussage zu tun.
Hier stellt sich die Frage nach der Auswertung beziehungsweise Lehren, die wir aus diesem Einsatz ziehen können. Die Aufarbeitung läuft.
Stichwort Verhältnismäßigkeit: Ist bei einer so umfangreichen Lage mit mehr als 15.000 Einsatzkräften eine „globale Aussage“ über den Polizeieinsatz während des G20-Gipfels überhaupt möglich, oder muss nicht vielmehr jede Situation unabhängig bewertet werden?
Ralf Martin Meyer: Da stimme ich im Prinzip zu. Die Gesamteinsatzbewältigung bei G20 hat gezeigt, dass es völlig unterschiedliche Situationen gegeben hat. Auch Demonstrationen, die nur in Teilen gewalttätig waren oder bei denen in Teilen Vermummung gezeigt wurde, sind ohne größere Intervention bis zum Ende gebracht worden.
Diese Situation war speziell und hat zu der Entscheidung geführt, diesen Teil der Demonstration so nicht weiter laufen zu lassen.
Wir haben eine Demonstration erlebt, wo dies nicht möglich war. Wo breite Teile eines schwarzen Blocks, der offensichtlich aus internationalen Teilnehmern bestand, die für den Leiter der Versammlung überhaupt nicht zugänglich waren. Zudem gab es Hinweise auf bereitgelegte Werkzeuge, um Gewalt auszuüben. Diese Situation war speziell und hat zu der Entscheidung geführt, diesen Teil der Demonstration so nicht weiter laufen zu lassen.
Dem gegenüber haben jedoch 9.000 andere Teilnehmer einen Anspruch auf die Wahrnehmung ihres Versammlungsrechts. Aus diesem Grund hat man hier eine andere Entscheidung getroffen – nämlich den Teilausschluss des nicht zugänglichen „Schwarzen Blockes“, mit dem Ziel, anschließend über weitere Schritte für diesen schwarzen Block zu verhandeln.
In einer anderen Demo hat man mit kleinen Eingriffen, beispielsweise mit einem Teilausschluss von etwa 150 Personen, gearbeitet. Man muss in der Tat auf die vielen Versammlungen schauen, die mit und ohne polizeiliche Begleitung gelaufen sind. Dies zeigt das unterschiedlich angepasste Vorgehen der Polizei an die jeweiligen Situationen.
Wenn man sich vermummt, dann dient es dazu, Straftaten zu begehen!
Insofern ist es sinnvoll, jede einzelne Situation als unabhängig zu bewerten. Auch mit der Frage, wie militant der Bereich ist, auf den man schaut. Wenn man sich vermummt, dann dient es dazu, Straftaten zu begehen. Dies bedeutet, dass Demonstranten, die sich nicht demaskieren, im weiteren Verlauf Straftaten begehen wollen beziehungsweise die Gefahr sehr hoch ist. Denn gerade dazu dient ja die Verschleierung der Identität. Daher muss man individuell auf jede Versammlung schauen. Eine Pauschalisierung des Gesamtgeschehens wäre hier fehl am Platz.
Die Frage nach Ihrer Teilnahme am G20-Konzert verneinten Sie vor Gipfelbeginn mit der Begründung, dass Ihr Platz in einer der „Hochphasen des Einsatzes“ die Einsatzräume der Polizei seien. Hatten Sie im Vorfeld Erkenntnisse darüber, dass der Freitagabend besonders problematisch wird?
Ralf Martin Meyer: Aus der Erfahrung habe ich leider mit Verletzungen von Kolleginnen und Kollegen gerechnet, daher konnte ich mir nicht vorstellen, in dieser Zeit in einem Konzerthaus zu sitzen. Dies heißt nicht, dass ich ganz spezielle Erwartungen für Freitagabend hatte, sondern dass ich insgesamt das Bewusstsein hatte, dass es zu Verletzungen kommen könnte.
Bereits vor der heißen Einsatzphase wurden durch uns Zwillen und Stahlkugeln sichergestellt. Damit war zu erwarten, dass diese Einsatzmittel gegen die eingesetzten Polizistinnen und Polizisten angewandt werden; was dann schließlich auch der Fall war. Allerdings konnte man nicht davon ausgehen, dass es konkret am Freitagabend zu diesem vorbereiteten massiven Angriff auf die Polizei kommen würde.
Dieser hat dann wohl auch deswegen im Schanzenviertel stattgefunden, weil die offenbar militanten Täter sich dort am besten in der Situation gewappnet gesehen haben, um dort Polizisten anzugreifen beziehungsweise in eine Situation hinein zu holen, indem es massivste Angriffe gab und hätte geben sollen. Dieser Umstand hat dann letztendlich zur Abwägung geführt, dass wir Spezialeinheiten brauchten, um bestimmte Täter auszuschalten, bevor dann die „normalen“ Polizisten auf der Straße vorgehen konnten.
Herr Meyer, der G20-Gipfel ist vorüber. Wie erholen Sie sich von der zurückliegenden „Mammutaufgabe“ und welche Herausforderungen hat die Hamburger Polizei in diesem Jahr noch zu bewältigen?
Ralf Martin Meyer: Zwar ist der G20-Gipfel nun vorüber, allerdings dauern die mediale und parlamentarische Aufbereitung noch an. Zeit für Erholung ist daher nur für wenige möglich. Möglicherweise wird die erste Phase noch bis zum Eintritt in die Sommerpause andauern.
Nach einer Sondersitzung des Innenausschusses soll zudem ein Sonderausschuss eingerichtet werden. Hier muss es auch um mehr gehen, als nur um das Konzept der Polizei, sondern auch um die verschiedenen Rollen in diesem Problemfeld und insofern gehört für mich noch eine längere Phase der Aufbereitung dazu.
Die Polizei soll um 500 Menschen auf der Straße wachsen. Wir wollen mehr Polizei mit Technik ausstatten, ihr mobile Anwendungen vor Ort zur Verfügung stellen.
Ende August werde ich für zwei Wochen in den Urlaub gehen. Dann warten verschiedene Herausforderungen auf uns. Wir wollen uns organisatorisch weiterentwickeln. Aber auch in den Feldern, die die Bevölkerung besonders bedrücken oder berühren, wie dem Wohnungseinbruchdiebstahl, wollen wir unsere Erfolge aus dem letzten Jahr weiter ausbauen. Insofern gibt es noch viel zu tun.
Die Polizei soll um 500 Menschen auf der Straße wachsen. Wir wollen mehr Polizei mit Technik ausstatten, ihr mobile Anwendungen vor Ort zur Verfügung stellen. All diese Dinge werden weiter vorangetrieben.