• 13. März 2019

Prof. Dr. Anja Steinbeck, Rektorin der HHU Düsseldorf

„Die Universität soll den Menschen ermöglichen, sich eine vorurteilsfreie Meinung zu bilden!“

Prof. Dr. Anja Steinbeck, Rektorin der HHU Düsseldorf

Prof. Dr. Anja Steinbeck, Rektorin der HHU Düsseldorf 150 150 Sven Lilienström

„Die Universität soll den Menschen ermöglichen, sich eine vorurteilsfreie Meinung zu bilden!“

Die 1965 gegründete Heinrich-Heine-Universität (HHU) in Düsseldorf ist eine Campus-Universität, an der etwa 35.000 Studierende für Bachelor- oder Masterstudiengänge eingeschrieben sind. Im Jahr 2014 wurde Frau Prof. Dr. Anja Steinbeck (53) zur Rektorin der Heinrich-Heine-Universität gewählt. Die Juristin ist verheiratet und hat zwei Kinder. Sven Lilienström, Gründer der Initiative Gesichter der Demokratie, sprach mit Frau Prof. Dr. Steinbeck über Demokratie, Bürgerbeteiligung und Digitalisierung.

Prof. Dr. Anja Steinbeck, Rektorin der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf | © Monika Baumann

Prof. Dr. Anja Steinbeck, Rektorin der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf | © Monika Baumann

Frau Prof. Dr. Steinbeck, welchen Stellenwert haben Demokratie und demokratische Werte für Sie ganz persönlich?

Anja Steinbeck: Die Demokratie hat einen immens hohen Stellenwert, weil sie unseren Wohlstand und unser tägliches Leben beeinflusst. Gewaltenteilung, die Grundrechte und das Demokratieprinzip als solches sind für unser tägliches Leben essentiell. Insofern ist es mir nicht vorstellbar, in einem anderen politischen System zu leben.

Die Demokratie ist von allen existierenden und theoretisch denkbaren Herrschaftsformen die beste!

Selbst wenn man einmal über einzelne Aspekte schimpft: Die Demokratie ist von allen existierenden und theoretisch denkbaren Herrschaftsformen die beste.

Populisten haben es derzeit leicht, Wissenschaftler mit „alternativen Fakten“ in die Defensive zu zwingen. Wie kann die Wissenschaft die Zweifler aus der Mitte der Gesellschaft erreichen?

Anja Steinbeck: Die Universität kann aus dem Elfenbeinturm heraustreten. Also mit den Ergebnissen der Forschung in die Öffentlichkeit gehen, ihre Methoden erklären, ihre Ergebnisse, aber auch die Grenzen der Forschung aufzeigen, um das Interesse an der Wissenschaft und das Vertrauen in die Forschungsergebnisse zu stärken. Sie kann die Grundlage dafür schaffen, dass die Menschen, mit denen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sprechen, sich aufgrund gesicherter Erkenntnisse ihre eigene Meinung bilden können und eben nicht auf Populisten hören müssen, die völlig faktenfrei irgendwelche Tatsachen behaupten, wie beispielsweise, dass die Erde eine Scheibe ist oder dass man Kinder nicht impfen sollte.

Die Universität kann die Menschen in die Lage versetzen, sich eine eigene, vorurteilsfreie Meinung zu bilden.

Die Universität kann die Menschen in die Lage versetzen, sich eine eigene, vorurteilsfreie Meinung zu bilden. Meinungen dürfen und sollen schlussendlich immer noch unterschiedlich sein, aber die Ausgangslage ist dann wenigstens faktenbasiert.

Zwischenfrage: Seit wann gibt es die Bürgeruniversität?

Wir versuchen seit 2016 vermehrt das, was wir tun, zu kommunizieren und mit den Bürgerinnen und Bürgern in Düsseldorf und der Region in Kontakt zu treten.

Wir binden die Bürgerinnen und Bürger in Lehrprojekte und zukünftig auch in Forschungsprojekte ein.

Das geschieht beispielsweise durch interaktive Formate. Wir binden die Bürgerinnen und Bürger in Lehrprojekte und zukünftig auch in Forschungsprojekte ein. Natürlich können wir die Menschen nicht ins Labor stellen, aber man kann bei wissenschaftlichen Fragen durchaus die Bevölkerung einbeziehen und überlegen: was interessiert eigentlich? Das Feedback ist sehr gut. Die Herausforderung ist aber, die Menschen auch langfristig zu interessieren und einzubinden. Am Anfang ist jeder begeistert, aber wenn es dann verpflichtend wird – wir können so ein Projekt nicht in einer Woche machen – dann brauchen wir natürlich ein längeres Commitment und das ist manchmal nicht ganz einfach.

Seit 2016 forschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der HHU am „Düsseldorfer Institut für Internet und Demokratie“ rund um das Thema „Demokratie und Digitalisierung“. Welche neuen Erkenntnisse gibt es?

Anja Steinbeck: Die Forschung in diesem Bereich beschäftigt sich insbesondere mit der Frage, wie man demokratische Willensbildungsprozesse partizipativ so gestalten kann, dass diejenigen, die später von den Entscheidungen betroffen sind, schon aufgrund ihrer Mitwirkung im Vorfeld mit den Ergebnissen zufriedener sind. Ein Beispiel sind die „Raddialoge“: Die Bevölkerung wird aufgefordert, Vorschläge zu machen, wie man in der Umgebung die Infrastruktur rund ums Radfahren verbessern kann. Insbesondere auf kommunaler Ebene ist so etwas sehr gut möglich.

Wenn hier in Düsseldorf über einen Stadtstrand diskutiert wird, kann man fragen: Was meint die Bevölkerung?

Im „Monitor Online-Partizipation NRW“ sind alle Dialogverfahren aus NRW verzeichnet, so dass die Kommunen, die mit diesem System arbeiten, sich untereinander austauschen können. Was hat man gelernt? Was kann man besser machen, um so ein partizipatives System zu verbessern? Wir sind sehr erfolgreich und arbeiten eng mit den Kommunen zusammen. Gerade hinsichtlich der Stadtplanung, bei Fragen bezüglich der Müllabfuhr, oder wie hier in Düsseldorf, wo über einen Stadtstrand diskutiert wird, kann man fragen: Was meint die Bevölkerung? Hier sind wir sehr aktiv.

Am 25. Januar waren wir zu Gast bei NRW-Bildungsministerin Yvonne Gebauer. Eine Schülerin wollte wissen, inwieweit die Digitalisierung die Bildung verändern wird. Diese Frage gebe ich gerne an Sie weiter.

Anja Steinbeck: Die Digitalisierung wird unsere Forschung und unsere Lehre verändern. Sie wird einmal dazu führen, dass die Lehre flexibler wird, also dass man vielleicht auch von zu Hause an einer Veranstaltung teilnehmen kann.

Wer studiert, arbeitet und familiäre Verpflichtungen hat, für den wird es zusätzliche Möglichkeiten geben.

Wobei ich betonen möchte, dass wir immer eine Präsenzuniversität bleiben werden. Das klassische Seminar, in dem wissenschaftlich diskutiert wird, wird man nie ersetzen können. Aber wer studiert, arbeitet und familiäre Verpflichtungen hat, für den wird es zusätzliche Möglichkeiten geben.

Dann wird die Digitalisierung natürlich auch die Lehrinhalte verändern. Juristen, die heute auf den Arbeitsmarkt kommen, müssen natürlich andere Fähigkeiten haben als ich noch vor 20 Jahren. „Legal Tech“ gab es damals noch nicht. Sie müssen sich auch mit Künstlicher Intelligenz (KI) auskennen. Wir werden für alle an der HHU Studierenden das Modul „KI für alle“ einführen, so dass sie die Möglichkeit haben, zumindest die Grundkenntnisse dieses bedeutenden Feldes zu erwerben. Zudem wird es auch spezialisierte Masterstudiengänge geben.

In der Lehre werden sich sowohl die Lehrmaterialien und die didaktische Aufbereitung ändern, als auch der Inhalt. In der Forschung werden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zunehmend mit Daten arbeiten. Forschungsergebnisse werden viel schneller abrufbar und zeitgleich überall präsenter sein.

Forschungsergebnisse werden viel schneller abrufbar und zeitgleich überall präsenter sein.

Ein Beispiel: In der Medizin haben wir heute Unmengen an Daten. Wir diagnostizieren ein Karzinom und es existieren Tausende Patienten, die das bereits hatten. Daraus können Therapien abgeleitet werden. Noch vor 15 Jahren wäre das so nicht möglich gewesen.

Bundespräsident a. D. Joachim Gauck hat 2018 eine Gastprofessur an der Heinrich-Heine-Universität übernommen. Welchen Mehrwert bietet ein solches Engagement der HHU und ihren Studentinnen und Studenten?

Anja Steinbeck: Die Heinrich-Heine-Gastprofessur ist ein schönes Format, um Gesellschaft und Universität zusammenzuführen. Die Bürgerinnen und Bürger kommen auf den Campus, um den oder die Gastprofessor/in zu sehen. Bei Herrn Gauck war es natürlich besonders großartig, weil er über das brandaktuelle Thema „Das Eigene und das Fremde“ sprach. Er hat als ehemaliger DDR-Bürger und durch die Wiedervereinigung auch eine ganz besondere Sicht auf die eigene und die gesamtdeutsche Identität. Er hat das sehr beeindruckend dargestellt und gesagt: „Wir alle brauchen Heimat, um sie nicht nötig zu haben“.

Gauck ist spontan zu Anfang in alle Hörsäle gegangen, obwohl er nur in einem gesprochen hat, um auch wirklich alle Zuhörer vor Ort zu begrüßen.

Gauck war dreimal da. In der ersten Veranstaltung waren knapp 700 Menschen im Hörsaal. Wir haben die Veranstaltung dann per Video in die anderen Räume übertragen. Denn insgesamt waren weit über 1500 Menschen für die erste Veranstaltung hier. Er ist dann spontan zu Anfang in alle Hörsäle gegangen, obwohl er nur in einem gesprochen hat, um auch wirklich alle Zuhörer vor Ort zu begrüßen.

Gleichstellung an Hochschulen: Laut einer aktuellen Studie wird nicht einmal jeder vierte Lehrstuhl von einer Frau besetzt. Warum gibt es so wenige Professorinnen in Deutschland? Wie ist der „Status Quo“ an der HHU?

Anja Steinbeck: Wir haben einen Frauenanteil unter den Professoren von etwa 22 Prozent. Die höchstmögliche Gehaltsstufe ist W3, hier haben wir mit 18 Prozent die wenigsten Frauen. In W1 sind wir allerdings bei weit über 30 Prozent. Und auch bei den Neuberufenen befinden wir uns mit 30 bis 40 Prozent Frauen auf einem gutem Weg.

Mir wurde in meiner Anfangszeit gesagt: „Da wo Sie habilitieren, können Sie auf keinen Fall bleiben!“ 

Der dennoch relativ niedrige Frauenanteil hat nicht nur einen, sondern viele Gründe. Die Qualifizierungsphase, die Habilitation oder Postdoc-Phase, fallen nun einmal häufig in die Familiengründungsphase. Das ändert sich jetzt. Mir wurde in meiner Anfangszeit gesagt: „Da wo Sie habilitieren, können Sie auf keinen Fall bleiben.“ Es war somit nicht möglich, an der Uni Professor zu werden, an der man habilitiert hat. Das bedeutet konkret: Man ist in der Familiengründungsphase und weiß genau: Ich muss jetzt eigentlich – möglicherweise gemeinsam mit meinem Mann – an einen anderen Ort umziehen. Das ist nicht gerade verlockend.

Zudem ist dies ein unsichererer Weg, als wenn man sich mit 26 als Richterin verbeamten lässt. Mit 26 bekommen sie aber keinen Lehrstuhl, das heißt: Sie haben dem entsprechend keine vergleichbare Sicherheit. Und dann gibt es natürlich auch noch einige männlich dominierte Strukturen – nach wie vor.

Frau Prof. Dr. Steinbeck, unsere siebte Frage ist immer eine persönliche: Was machen Sie in Ihrer Freizeit am liebsten und welche beruflichen und privaten Ziele haben Sie sich für das Jahr 2019 gesetzt?

Anja Steinbeck: In meiner Freizeit bin ich am liebsten in den Bergen: Skifahren oder Wandern – also Sport an der frischen Luft mache ich sehr gerne. Aber ich esse auch sehr gerne.

Privat kann alles so bleiben wie es ist.

Beruflich würde ich gerne die Universität noch weiter nach vorne bringen. Sie weiterhin gut in der Stadt und der Region verankern und in manchen Forschungsbereichen auch deutschland- und weltweit noch sichtbarer machen. Wir realisieren zurzeit einen Forschungsverbund im Bereich der künstlichen Intelligenz, der alle fünf Fakultäten der HHU umfasst. Da wird sicherlich viel Arbeit in diesem Jahr anstehen.

Beruflich würde ich gerne die Universität noch weiter nach vorne bringen.

Auch werden wir uns in diesem Jahr Kooperationspartner suchen, die uns gut ergänzen und in der Universität genau schauen, wer in dem Bereich tätig ist – und alle zusammenführen.

Vielen Dank für das Interview Frau Prof. Dr. Steinbeck!

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