• 28. Februar 2019

Yvonne Gebauer, NRW-Bildungsministerin

„Es geht darum, Politik nicht nur für, sondern mit Jugendlichen zu gestalten!“

Yvonne Gebauer, NRW-Bildungsministerin

Yvonne Gebauer, NRW-Bildungsministerin 150 150 Sven Lilienström

„Es geht darum, Politik nicht nur für, sondern mit Jugendlichen zu gestalten!“

Am Tag nach dem Tag der Deutschen Einheit 2018 hat die Initiative Gesichter der Demokratie mit sieben Schülerinnen und Schülern der Q2/Jahrgangsstufe 12 des Kaarster Albert-Einstein-Gymnasiums über Demokratie, Populismus und soziale Netzwerke gesprochen. Schnell war klar: Die Schülerinnen und Schüler haben noch so einige Fragen an die Politik. Yvonne Gebauer (52), Ministerin für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen, nahm sich die Zeit und stand den Schülerinnen und Schülern jetzt Rede und Antwort.

Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen | © Monika Baumann

Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen | © Monika Baumann

Sophia (18): Frau Ministerin, seit der Gründung der Initiative Gesichter der Demokratie lautet die erste Frage stets: Welchen Stellenwert haben Demokratie und demokratische Werte für Sie ganz persönlich?

Yvonne Gebauer: Demokratie, Bildung und Bürgerrechte haben für mich persönlich einen sehr hohen Stellenwert.

Demokratie muss jeden Tag aufs Neue gelebt und erlebt werden.

Demokratie muss jeden Tag aufs Neue gelebt und erlebt werden. Es kommt auf uns alle an, Demokratie zu gestalten, aber auch zu beschützen. Mein persönliches Engagement hat in meiner Heimatstadt begonnen, in Köln. Dort war ich in der Kommunalpolitik aktiv und habe schnell gemerkt, wie wertvoll die Möglichkeit ist, aktiv an der Gestaltung unserer Gesellschaft mitarbeiten zu dürfen. Als Ministerin für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen liegt es mir besonders am Herzen, dass die Werte der Demokratie auch in unseren Schulen durch unsere Lehrerinnen und Lehrer fächerübergreifend vermittelt und vorgelebt werden.

Sebastian (17): Die Demokratie steht vor neuen Herausforderungen. Inwiefern kann politische Bildung an Schulen dazu beitragen das Demokratiebewusstsein zu stärken und antidemokratischen Tendenzen entgegenzutreten?

Yvonne Gebauer: Ich bin der festen Überzeugung, dass es keine bessere Form des Zusammenlebens gibt als unsere Demokratie. Demokratiebildung und Wertevermittlung an Schulen müssen fächerübergreifend dazu beitragen, unsere Demokratie zu stärken. Ich bin stolz darauf, dass bereits zahlreiche Schulen in NRW für ihr Engagement gegen Diskriminierung und Rassismus mit dem Titel „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ ausgezeichnet wurden. Viele weitere Schulen engagieren sich ebenfalls täglich und füllen diese Werte mit Leben. Das wollen wir unterstützen, indem wir zum Beispiel seit dem letzten Jahr Fahrten von Schulen zu Gedenkstätten bezuschussen.

Pia (18): Stichwort Werteverlust: Inwieweit ist es Aufgabe der Schulen ihren Schülerinnen und Schülern Werte zu vermitteln? Nach welchen Werten sollte Ihrer Meinung nach jeder Mensch handeln?

Yvonne Gebauer: Der Philosoph Immanuel Kant hat einmal gesagt: „Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt.“

Schule ist immer auch ein Abbild unserer Gesellschaft!

Dieser Satz sagt viel aus. Es geht um Respekt, um Toleranz und darum, das Miteinander zu gestalten. Schule ist immer auch ein Abbild unserer Gesellschaft. Hier lernen wir im Kleinen, worauf es später im Großen ankommt. In der Schule werden die Werte des gesellschaftlichen Zusammenlebens vermittelt. Dazu gehören natürlich beide Seiten – die Lehrerinnen und Lehrer sowie die Schülerinnen und Schüler. Das gemeinsame Erleben und Gestalten ist ein wichtiger Teil der Demokratiebildung.

Torben (17): Sind Sie der Meinung, dass die Jugend in der Politik genügend berücksichtigt wird? Was müsste sich gegebenenfalls im Bildungssystem ändern, um Jugendliche von Politik zu begeistern?

Yvonne Gebauer: Wichtig ist, dass es uns gelingt, mehr engagierte, demokratische Politikerinnen und Politiker in die Schulen zu bringen – auch außerhalb von Wahlkampfzeiten, damit sie aus erster Hand erfahren können, was die Jugend bewegt. Umgekehrt sollten Jugendliche sich aber auch aktiv einbringen und engagieren und nicht warten, bis sie gefragt werden.

Es geht darum, Politik nicht nur für, sondern mit Jugendlichen zu gestalten!

Deshalb ist es mir wichtig, dass Schülerinnen und Schüler in unseren Schulen an der Gestaltung des schulischen Lebens beteiligt werden. Ich wünsche mir einen regelmäßigen Austausch zwischen Schülerinnen und Schülern und den politischen Akteuren. Denn es geht darum, Politik nicht nur für, sondern mit Jugendlichen zu gestalten.

Nachfrage Torben: Sind Sie der Meinung, dass es im Moment gut läuft, oder gibt es Verbesserungsbedarf?

Natürlich gibt es in allen Bereichen immer noch Luft nach oben. Deshalb denken wir auch im Schulministerium jeden Tag darüber nach, was wir verbessern können. Was packen wir in die Kernlehrpläne hinein? Welche Stundenanzahl geben wir vor? Wie viel freie Zeit für Projekte lassen wir den Schulen? Halbtagsschule oder Ganztagsschule? Es geht darum, den richtigen Weg zu finden.

Wir setzen alles daran, die Umstellung der Gymnasien auf G9 erfolgreich zu gestalten.

Ein Beispiel: Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Schulministerium und ich als Schulministerin setzen alles daran, die Umstellung der Gymnasien auf G9 erfolgreich zu gestalten. Die Vorbereitungen laufen auch Hochtouren und wir liegen sehr gut im Zeitplan. Bis Ende Januar hatten die Gymnasien Zeit, sich zu entscheiden, entweder der Leitentscheidung der Landesregierung für G9 zu folgen, oder bei G8 zu bleiben, damit die Eltern Klarheit bei der Anmeldung haben.

Alex (17): Teilen Sie die Meinung, dass die Förderung individueller Interessensgebiete stärker im Unterricht berücksichtigt werden sollte? Was halten Sie davon berufsorientiert zu unterrichten?

Yvonne Gebauer: Wir haben in NRW ein ausdifferenziertes Schulsystem, das Schülerinnen und Schülern auch die Möglichkeit bietet, Fächer zu wählen, die in besonderer Weise ihren individuellen Interessen entsprechen. Zum Beispiel im Wahlpflichtbereich oder in der gymnasialen Oberstufe. Im Abitur besteht außerdem die Möglichkeit, sich eine besondere Lernleistung anrechnen zu lassen, das kann die Teilnahme an einem Wettbewerb oder auch ein anderes ganz besonders Projekt sein. Es gibt also viele Möglichkeiten, individuelle Interessengebiete zu berücksichtigen. Das gilt auch im Bereich der Berufsorientierung; sie hat an unseren Schulen einen großen Stellenwert.

Alle Schulen nehmen am Landesvorhaben „Kein Abschluss ohne Anschluss“ teil. Damit wollen wir Schülerinnen und Schülern den Übergang von der Schule in Beruf oder Studium erleichtern und einen erfolgreichen Start ermöglichen. Es beginnt in der Jahrgangsstufe 8 mit einer Potenzialanalyse, mit Berufsfelderkundungen und Praktika, die dazu beitragen sollen, dass Schülerinnen und Schüler ihre eigenen Stärken besser kennenlernen. Die Ergebnisse bilden die Grundlage für den weiteren Entwicklungs- und Förderprozess bis zum Übergang in die Ausbildung oder ins Studium.

Tim (17): Ich möchte spontan eine kurze Vorfrage zum Kooperationsverbot stellen: Sind Sie dafür oder dagegen?

Yvonne Gebauer: Wir haben uns als Freie Demokraten ganz klar für die Aufhebung des Kooperationsverbotes und die Möglichkeit neuer Kooperationen ausgesprochen. Und die Landesregierung hat sich in ihrem Koalitionsvertrag darauf verständigt, alle gesetzlichen Hürden, die einer gesamtgesellschaftlichen Kraftanstrengung für bessere Bildung im Wege stehen, zu beseitigen, um im föderalen Aufbau unseres Landes wieder neue Kooperationsmöglichkeiten zu schaffen.

Das Verfahren im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat muss jetzt zügig zu einem erfolgreichen Abschluss geführt werden, damit das Geld fließen kann.

Aber Sie wollen ja bestimmt wissen, was mit dem Digitalpakt ist. Ohne den „Digitalpakt Schule“ des Bundes ist ein so ambitioniertes Vorhaben wie die Digitalisierung der gesamten Schullandschaft in Deutschland nicht zu machen. Wir haben allein in NRW 6.000 Schulen. Die Länder brauchen den Digitalpakt und zwar schnell. Das Verfahren im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat muss jetzt zügig zu einem erfolgreichen Abschluss geführt werden, damit das Geld fließen kann. Ich erwarte, dass alle Beteiligten zügig auf eine gute Lösung für unsere Schulen hinarbeiten. Das heißt auch, dass alle Seiten sich aufeinander zubewegen müssen. Niemand kann auf Maximalpositionen beharren.

Tim: Wie kann sichergestellt werden, dass die Digitalisierung im Spannungsfeld zwischen Meinungsfreiheit und gesetzlichen Löschvorgaben weiterhin ein Gewinn für Demokratie und Bürgerrechte bleibt?

Yvonne Gebauer: Die Digitalisierung wirft viele Fragen auf, auf die wir Antworten finden müssen. Wie gehen wir zum Beispiel damit um, wenn die Meinungsfreiheit im Netz dazu missbraucht wird, andere zu beleidigen und die Unwahrheit zu verbreiten? Die Meinungsfreiheit ist ein äußerst hohes Gut. Deshalb müssen wir, wann immer es möglich und nötig ist, gegenüber denjenigen eine klare Linie ziehen, die unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit Hass und Hetze verbreiten. Wenn uns das gelingt, dann ist die Digitalisierung ein Gewinn für unsere Gesellschaft und unsere Demokratie, etwa durch neue Formen der Teilhabe und Partizipation.

Wichtig ist, dass junge Menschen die Digitalisierung ihrer Lebens- und Arbeitswelt beherrschen und nicht von der Digitalisierung beherrscht werden.

Meine Aufgabe als Schulministerin ist es, dafür zu sorgen, dass die Schülerinnen und Schüler in NRW die für die Digitalisierung erforderlichen Kompetenzen erwerben können. Wichtig ist, dass junge Menschen die zunehmende Digitalisierung ihrer Lebens- und Arbeitswelt beherrschen und nicht von der Digitalisierung beherrscht werden.

Celia (17): Inwieweit wird Digitalisierung die Bildung in einer globalisierten Welt verändern: Werden beispielsweise die besten Universitäten der Welt in Zukunft ihre herkömmlichen Studiengänge durch Online-Seminare ersetzen?

Yvonne Gebauer: Natürlich wird es Unterricht auch künftig von Angesicht zu Angesicht geben, aber die Gestaltungsmöglichkeiten durch die Digitalisierung werden vielfältiger.

Für mich gilt stets: Pädagogik vor Technik!

Mein Hauptanliegen ist es dabei, die Möglichkeiten der digitalen Welt gezielt zu nutzen, um die schulische Bildung weiter zu verbessern. Dabei gilt für mich stets: Pädagogik vor Technik. Meine Leitfrage lautet: Wie können die digitalen Medien die Lernprozesse der Kinder und Jugendlichen unterstützen? Außerdem wissen wir heute ja noch gar nicht, was im Rahmen der Digitalisierung zukünftig alles möglich sein wird. Da die Entwicklung immer weiter voranschreitet, müssen wir unsere Schülerinnen und Schüler bestmöglich darauf vorbereiten, diesen immerwährenden Wandel anzunehmen und zu gestalten.

Vielen Dank für das Interview Frau Ministerin!

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