„Wir brauchen definitiv mehr weibliche Führungskräfte!“
Wer kennt sie nicht: Die kleinen gelben Zettel mit dem Haftstreifen auf der Rückseite. Dabei sind die unter dem Markennamen „Post it“ bekannten Notizzettel längst nicht die einzige Erfindung von 3M. Mit über 50.000 Produkten und 25.000 Patenten gehört der US-Multitechnologiekonzern laut eigenen Angaben zu den innovativsten Unternehmen der Welt. Christin Schack ist seit Oktober 2022 verantwortlich für das Geschäft in Zentral-Europa. Mit Sven Lilienström, Gründer der Initiative Gesichter der Demokratie, sprach die 51-jährige Unternehmenslenkerin über Inklusion, Just-in-Time und die Protestaktionen der Klimaaktivisten „Letzte Generation“.
Frau Schack, vielen Dank für Ihre Teilnahme am Interview. Als „Gesichter der Demokratie“ interessiert uns natürlich brennend: Welchen Stellenwert haben Demokratie und demokratische Werte für Sie ganz persönlich?
Christin Schack: Sie haben einen sehr hohen Wert für mich. Wir halten es für selbstverständlich, dass wir in einer Demokratie leben und den Schutz von demokratischen Werten wie Gewaltenteilung, Meinungsfreiheit und das Recht auf freie Entfaltung genießen.
Mit anzusehen, wie sich weltweit Demokratien zurückentwickeln, stimmt mich traurig.
Dabei ist es weltweit nur ein vergleichsweise kleiner Anteil der Menschen, der in demokratischen Gesellschaften lebt. Mit anzusehen, wie sich weltweit Demokratien zurückentwickeln, stimmt mich traurig. Es ermutigt mich aber umso mehr, die demokratischen Werte in Deutschland und Europa zu schützen und zu verteidigen.
Umfragen zeigen: Das Vertrauen der Deutschen in die Demokratie und ihre Institutionen nimmt ab – insbesondere in Ostdeutschland. Haben Sie Sorge vor einem Erstarken antidemokratischer Ideologien?
Christin Schack: Ja, das habe ich. Denn diese Entwicklung sehen wir ja auch in anderen Ländern. Das Wichtigste ist dabei aus meiner Sicht, dass in Deutschland die soziale Schere nicht weiter auseinander geht.
Wer 40 Stunden in der Woche arbeitet, muss davon leben können!
Wer 40 Stunden in der Woche arbeitet, muss davon leben können. Auch das Thema Bildung ist zentral. Der persönliche soziale Hintergrund darf keinen Einfluss auf den Erfolg der eigenen Ausbildung haben.
Seit Oktober 2022 verantworten Sie – wohlgemerkt als zweite Frau seit knapp 70 Jahren – das 3M Geschäft in Zentral-Europa. Brauchen wir mehr weibliche Führungskräfte? Sind Frauen gar die „besseren“ Konzernlenker?
Christin Schack: Wir brauchen definitiv mehr weibliche Führungskräfte und auf alle Fälle haben Frauen einen anderen Führungsstil. „Besser“ möchte ich nicht sagen, aber mehr Diversität, auch in den Führungsstilen, würde uns voranbringen.
Stichwort Chancengleichheit: Sie engagieren sich seit Jahren für Diversität und Inklusion. Wo steht 3M diesbezüglich heute? Was möchten Sie als neue Vorsitzende der Geschäftsführung in Zukunft noch besser machen?
Christin Schack: Wir sind in unserer Selbstbewertung immer kritisch, ganz nach dem Credo: „Wir müssen noch mehr tun.“ Ich denke, wir sind auf einem guten Weg, dürfen uns aber nicht auf unseren Erfolgen ausruhen.
Obwohl auch immer mehr Väter Elternzeit nehmen, sehen wir einen „Bruch“ im mittleren Management.
Unsere Mitarbeitenden schätzen beispielsweise unser großes Engagement, um Beruf und Familie oder persönliche Leidenschaften wie Ehrenämter oder Sport zu vereinen. So haben wir das flexible Arbeitskonzept „Work Your Way“ etabliert. Dabei entscheiden unsere Mitarbeitenden, wieviel sie von zu Hause arbeiten, und können ihre Arbeitszeiten selbst einteilen. Aber obwohl auch immer mehr Väter Elternzeit nehmen, sehen wir einen „Bruch“ im mittleren Management, wo wir uns eine höhere Frauenquote wünschen.
Mir persönlich ist „Everyday Inclusion“ sehr wichtig!
Neben unserem Women Leadership Forum und einem weltweiten PRIDE Netzwerk, rufen wir gerade ein Diverse Ability Network ins Leben. Bei Inklusion denken viele zunächst an körperliche Einschränkungen. Wir wollen auch die Teilhabe von Menschen fördern, deren Herausforderungen mit dem Auge nicht unbedingt sichtbar sind. Dazu zählt Mental Health genauso wie Legasthenie oder Dyskalkulie. Wir sind da aber noch ganz am Anfang.
Mir persönlich ist „Everyday Inclusion“ sehr wichtig. Dazu startet aktuell eine „REAL Allyship“ Initiative. Es geht bei dem Programm darum, offen zu sein und zu unterstützen – „to ally“, um in allen beruflichen und privaten Situationen ein Umfeld zu schaffen, das alle einbindet und teilhaben lässt.
Als Multitechnologiekonzern ist 3M auf Rohstoffe und Zulieferprodukte angewiesen. Doch die globalen Lieferketten stehen krisenbedingt unter Druck. Was tun, um Krisen künftig besser abzufedern? Ist „Just-in-Time“ noch zeitgemäß?
Christin Schack: Bei „Just-in-Time“ Lieferungen haben wir schmerzhaft gelernt, dass die uneingeschränkte, zeitnahe Ressource „Transport“ nicht mehr selbstverständlich ist.
Wir versuchen Transportwege zu verkürzen und weniger komplex zu machen. Wenn in der Vergangenheit Dual Sourcing oft primär mit dem Ziel der Kostenoptimierung betrieben wurde, sehen wir es nun als Maßnahme zur Sicherstellung von Einkaufsquellen – und das nicht nur für kritische Items.
Wir erleben bei uns und unseren Kunden die Rückkehr von Produktionen nach Europa.
Mit der gleichen Zielsetzung erleben wir bei uns und unseren Kunden die Rückkehr von Produktionen nach Europa. Das ist natürlich auch eine Chance für uns als Unternehmen, sowohl bei unseren Produkten als auch bei der Unterstützung von automatisierten Lösungen.
Bleiben wir bei einem aktuellen Thema: Mit immer radikaleren Methoden machen die Klima-Aktivisten „Letzte Generation“ auf den drohenden Klima-Kollaps aufmerksam. Legitimer Protest oder demokratiefeindlich?
Christin Schack: Ich verstehe das Anliegen der meist jungen Menschen, die aktuellen Entscheider und Lenker aufrütteln zu wollen, denn sie fühlen sich von ihnen im Stich gelassen. Schließlich geht es um ihre Zukunft. Die freie Meinungsäußerung ist ein sehr wichtiges und schützenswertes Gut, aber das Eigentum anderer oder der Gemeinschaft zu beschädigen, geht definitiv zu weit, ebenso die Maßnahmen, die das öffentliche Leben lahmlegen.
Aus meiner Sicht tun sich die Klimaaktivisten keinen Gefallen, da sie breite Schichten der Bevölkerung gegen sich aufbringen.
Ich finde diese Ausreißer sehr schade, da sich die Klimaaktivisten aus meiner Sicht keinen Gefallen tun und breite Schichten der Bevölkerung gegen sich aufbringen. Die Fridays for Future-Bewegung hat das besser hinbekommen und mit ihren Protesten dem Klimawandel breite Aufmerksamkeit verschafft. So wurde das Thema auch in der politischen Diskussion prominenter, was sich in Maßnahmen und Entscheidungen widerspiegelt.
Frau Schack, laut Ihrem Facebook-Profil sind Sie passionierte Bergsteigerin – ein sportliches Hobby mit Weitsicht. Apropos Weitsicht: Wie wichtig sind – gerade in Krisenzeiten – vorausschauende Unternehmer*innen?
Christin Schack: Wichtiger denn je, auch wenn es in einer zunehmend schnelllebigen Welt immer schwieriger wird, wirklich „weite Sicht“ zu haben. Wer kann noch vorhersehen, was als Nächstes passiert, wie die kommenden Änderungen aussehen? Deswegen sind Agilität und eine Sensibilität für aktuelle Entwicklungen vielleicht noch wichtiger. Überlegte Reaktionen und Kurspassungen gehören auch dazu, wie auch immer Alternativen parat zu haben.
Ich scheue nicht davor zurück, einen anderen Weg zu gehen oder gar umzudrehen, sollte die Situation es erfordern!
Das ist auch am Berg eine sehr wichtige Fähigkeit. Wenn das Wetter schlecht wird, muss man die richtige Kleidung dabeihaben. Und ich scheue nicht davor zurück, einen anderen Weg zu gehen oder gar umzudrehen, sollte die Situation es erfordern!