• 23. Juni 2021

Dr. Stephan Keller, Oberbürgermeister von Düsseldorf

„Demokratie bedeutet nicht, dass wir nur noch den politischen Mainstream tolerieren!“

Dr. Stephan Keller, Oberbürgermeister von Düsseldorf

Dr. Stephan Keller, Oberbürgermeister von Düsseldorf 150 150 Sven Lilienström

„Demokratie kann nicht bedeuten, dass wir nur noch den politischen Mainstream tolerieren!“

Dr. Stephan Keller (50) ist seit dem 1. November 2020 Oberbürgermeister der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt Düsseldorf. Bei der Kommunalwahl im vergangenen Jahr gelang es dem ehemaligen Kölner Stadtdirektor (CDU) die Stichwahl gegen Amtsinhaber Thomas Geisel (SPD) zu entscheiden. Der gebürtige Aachener ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt in Düsseldorf. Sven Lilienström, Gründer der Initiative Gesichter der Demokratie, sprach mit Oberbürgermeister Dr. Stephan Keller über „rheinisch-globale“ Mentalitäten, deutsche Liederabende und die Frage, was einen guten Krisenmanager ausmacht.

Dr. Stephan Keller, Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Düsseldorf | © Norbert Hüttermann/Landeshauptstadt Düsseldorf

Dr. Stephan Keller, Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Düsseldorf | © Norbert Hüttermann/Landeshauptstadt Düsseldorf

Herr Dr. Keller, Sie sind seit November 2020 Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Düsseldorf. Unsere erste Frage an Sie: Was bedeuten Demokratie und demokratische Werte für Sie ganz persönlich?

Stephan Keller: Für mich ist die Demokratie ein Garant für die Wahrung der Menschenwürde. Keine andere Regierungsform garantiert, dass die Würde des Menschen – auch von der staatlichen Gewalt – geachtet und geschützt wird. Demokratie ist die einzige Regierungsform, die das fragile Spannungsverhältnis zwischen individueller Freiheit und Gleichheit in Balance bringt und ständig neu austariert.

Die Geschichte zeigt „Demokratien führen nicht gegeneinander Krieg“!

Des Weiteren haben wir nach dem zweiten Weltkrieg gelernt, dass Demokratie immer auch ein Garant für Frieden und Wohlstand ist. Die Geschichte zeigt „Demokratien führen nicht gegeneinander Krieg“. Diese Eigenschaft der Demokratie dürfen wir in einer Zeit nicht unterschätzen, in der gewaltsame Auseinandersetzungen auch innerhalb Europas wieder zu einem realen Szenario gehören.

Meiner Meinung nach lässt sich in autoritären Staaten kein nachhaltiger wirtschaftlicher Wohlstand erreichen.

Ich bin überzeugt, dass es außer der Demokratie keine Regierungsform gibt, die auf Dauer wirtschaftliche Prosperität garantiert. Meiner Meinung nach lässt sich in autoritären Staaten kein nachhaltiger wirtschaftlicher Wohlstand erreichen. Wenn wir also in Generationen denken, sichert die Demokratie ein aktives Wirtschaftsleben und damit unseren Wohlstand.

In einem BILD-Interview anlässlich Ihrer ersten 100 Tage im Amt sagten Sie, Düsseldorf sei für Sie „rheinisch-global“. Was genau meinen Sie damit? Wie gelingt der Spagat zwischen Tradition und Weltoffenheit?

Stephan Keller: Dieser Spagat gelingt in Düsseldorf ganz besonders gut. Auf der einen Seite leben wir – beispielsweise im Karneval und Schützenwesen – unsere rheinischen Traditionen. Wir haben mit den „Düsseldorfer Jonges“  den größten Heimatverein Europas.

Düsseldorf hat eine ausgesprochen vielfältige Tradition und ist gleichwohl eine weltoffene, tolerante und internationale Stadt.

Düsseldorf hat eine ausgesprochen vielfältige Tradition und ist gleichwohl eine weltoffene, tolerante und internationale Stadt mit Bürgerinnen und Bürgern aus über 180 Nationen. Wir sind außerdem internationaler Wirtschaftsstandort und erhalten regelmäßig Bestnoten von „Expats“, die in Düsseldorf leben. Schließlich ist unsere Stadt ein beliebtes Ziel für ausländische Direktinvestitionen, denn wir strahlen die Eigenschaften einer internationalen Metropole aus und bewahren gleichzeitig die rheinische Bodenständigkeit und Heimatverbundenheit. Das ist es, was ich unter „rheinisch-global“ verstehe.

„Nähe trifft Freiheit“, der Slogan, mit dem wir für Düsseldorf werben, bringt die Verknüpfung heimeliger Nähe mit der Freiheit des internationalen und weltoffenen Lebens bei uns zum Ausdruck.

Ihr Parteikollege, Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, schreibt in seinem Buch „Grenzerfahrungen“, dass Krisen wichtig für die Politik sind. Stimmen Sie dem zu und wenn ja, sehen Sie sich als einen guten Krisenmanager?

Stephan Keller: Dem stimme ich uneingeschränkt zu! Krisen schärfen den Blick für das Wesentliche – auch in der Politik. Sie zeigen auf, was wirklich wichtig ist, legen den Finger in die Wunde und decken schonungslos die Stärken und Schwächen des politischen Systems auf.

So offenbart die Corona-Pandemie die Stärken und Schwächen unseres föderalen Systems und des politischen Systems insgesamt. Krisen sind häufig auch reinigende Prozesse, die auch zu einer Verbesserung in der Nachkrisenzeit führen können.

Ob ich ein guter Krisenmanager bin? Ich denke, ich habe das bisher gut hinbekommen!

Ob ich ein guter Krisenmanager bin? Ich denke, ich habe das bisher gut hinbekommen. In Köln habe ich den Krisenstab geleitet und war somit auch in der operativen Führung des Krisenmanagements tätig. Hier in Düsseldorf arbeite ich sehr eng mit dem Leiter des Krisenstabes, unserem Stadtdirektor, zusammen. Eine politische Führungskraft ist dann ein guter Krisenmanager, wenn sie so viel delegiert wie möglich, so viel steuert wie nötig und die richtigen Impulse setzt. Letztendlich ist Krisenmanagement in einer Stadt Aufgabe eines ganzen Teams. Bisher habe ich immer die richtigen Teams zusammengestellt, um gemeinsam die vor uns liegenden Herausforderungen zu bewältigen.

Apropos Krisen: Globale Herausforderungen wie die Corona-Pandemie oder der Klimawandel spalten die Gesellschaft zunehmend. Was tun Sie, Herr Dr. Keller, um die Stadtgesellschaft in Düsseldorf zusammenzuhalten?

Stephan Keller: Wir versuchen täglich, das „WIR“ und damit das Verbindende in der Stadtgesellschaft zu betonen und weniger das Trennende und wir stärken die Kräfte, die für dieses „WIR“ stehen und dem Solidargefühl in der Stadtgesellschaft Halt geben: die Hilfsorganisationen, Religionsgemeinschaften, Sportvereine und sonstige ehrenamtlich tätige Organisationen.

Wir möchten auch bei denjenigen Verständnis wecken, die vielleicht anderer Meinung sind.

Eine zentrale Aufgabe als Oberbürgermeister ist es, offen zu kommunizieren und unsere Entscheidungen transparent und damit nachvollziehbar zu machen. Wir möchten auch bei denjenigen Verständnis wecken, die vielleicht anderer Meinung sind. Zu einer guten Information gehört zum Beispiel unsere wöchentliche Pressekonferenz mit dem Titel „Corona aktuell“ und die anschließenden Videos, in denen der Stadtdirektor und ich gemeinsam über die aktuelle Lage, die Maßnahmen, den Ausblick und das Geschehen berichten.

In der Gesprächsreihe „Der Oberbürgermeister im Gespräch mit…“ treffe ich mich regelmäßig mit von der Corona-Krise besonders betroffenen Branchen und Institutionen wie Gastronomen, Einzelhändlern, Sportvereinen, Schützen, Karnevalisten und weiteren Multiplikatoren. So erfahre ich aus erster Hand, was die Menschen bewegt und habe die Möglichkeit, unsere Politik zu erklären und Entscheidungen transparent zu machen. Das ist mir wichtig!

Laut aktueller Forsa-Umfrage wurden 57 Prozent der Bürgermeister*innen in Deutschland bereits beleidigt, bedroht oder sogar tätlich angegriffen. Wie erleben Sie Hass und Hetze in Ihrem Amt? Wie gehen Sie damit um?

Stephan Keller: Persönliche Anfeindungen gehören tatsächlich mittlerweile zu fast allen öffentlichen Ämtern dazu. Der Ton ist insgesamt rauer geworden, gerade in der Anonymität der sozialen Medien. Das ist nicht schön, aber ich komme damit gut zurecht. Allerdings bringen wir aus Prinzip jede Form von Beleidigung oder Bedrohung zur Anzeige, unabhängig davon, ob diese gegen mich persönlich ausgesprochen wird oder gegenüber den Mitarbeitenden der Stadtverwaltung. Denn dieser Entwicklung muss man sich entgegenstellen.

Gerade in Coronazeiten sind viele Menschen frustriert, genervt und angespannt.

Gerade in Coronazeiten sind viele Menschen frustriert, genervt und angespannt, viele haben große gesundheitliche und wirtschaftliche Sorgen, das schlägt sich auch in der allgemeinen Stimmung nieder. Das ist nachvollziehbar, doch bestimmte Linien sollten nicht überschritten werden. Ich hoffe, dass sich die Lage mit fortschreitender und erfolgreicher Impfkampagne entspannt.

Nachfrage: Verstehen Sie, wenn andere Kolleg*innen sagen, „das ist mir zu viel, das möchte ich nicht mehr“ und ihr Amt niederlegen?

Selbstverständlich kann ich das nachvollziehen.

Alle, die politische Ämter bekleiden, brauchen heutzutage ein dickes Fell!

Alle, die politische Ämter bekleiden, brauchen heutzutage ein dickes Fell. Die meisten, die sich für ein derartiges Amt entscheiden, wissen das auch. Dennoch sind viele überrascht, wenn sie zum ersten Mal eine „Hass-Mail“ bekommen oder eine konkrete Bedrohung gegen die eigene Person ausgesprochen wird. Ich kann deshalb nachvollziehen, wenn jemand aus diesen Gründen sein Amt niederlegt. Aber das ist immer eine sehr persönliche und individuelle Entscheidung.

Ich bin der Meinung, dass man sich auch von unschönen Situationen nicht unterkriegen lassen darf. Denn damit würden wir ein Stück Demokratie preisgeben. Deshalb freue ich mich über alle, die dabeibleiben.

Im Oktober ist Heino mit seiner Tour „Heino goes Klassik – Ein deutscher Liederabend“ zu Gast in Düsseldorf. Der Streit um den Untertitel ist beigelegt. Die Frage bleibt: Was darf man in einer Demokratie sagen – was nicht?

Stephan Keller: Ich kann an dem Titel „Ein deutscher Liederabend“ nichts Nationalistisches erkennen. Davon abgesehen: Wir müssen in der Demokratie ein breites Meinungsspektrum aushalten können.

Demokratie kann nicht bedeuten, dass wir nur noch den „politischen Mainstream“ tolerieren!

Demokratie kann nicht bedeuten, dass wir nur noch den „politischen Mainstream“ tolerieren. Wir müssen auch Meinungen an den Rändern akzeptieren, nicht jedoch über die Ränder hinaus. Ich bin davon überzeugt, dass wir den Gegnern von Demokratie und Freiheit keinen Raum geben dürfen. Aber das, was sich im Rahmen der durch das Grundgesetz garantierten Meinungsfreiheit bewegt, muss man auch sagen können. Rassismus, Antisemitismus, Hass und Hetze dürfen wir hingegen nicht tolerieren. Dafür wollen und werden wir kein Forum bieten!

Herr Dr. Keller, gerne möchten wir noch etwas Persönliches über Sie erfahren: Sie sind Hobby-Rennradfahrer. Wann findet der Grand Départ der Tour de France wieder in Düsseldorf statt? Setzen Sie sich dafür ein?

Stephan Keller: Der Grand Départ der Tour de France war sicherlich ein herausragendes Sportereignis für die Stadt. Darüber hinaus war es das Ereignis, durch das ich meine Leidenschaft für das Rennradfahren entdeckt habe, ein echter Gewinn!

Düsseldorf ist eine sportbegeisterte Stadt und wir werden uns nach Kräften bemühen, weitere große Sportevents in die Stadt zu holen.

Dennoch ist die Tour de France derzeit kein Thema für uns. Wir haben für die nächsten Jahre eine Vielzahl anderer großer Sportveranstaltungen im Terminkalender stehen – beispielsweise die „Invictus-Games“ im Jahr 2023. Zudem ist Düsseldorf Austragungsort der Fußball-Europameisterschaft 2024. Gerade haben wir außerdem den Zuschlag für die „Universiade 2025“, also die Word University Games, erhalten. Düsseldorf ist eine sportbegeisterte Stadt und wir werden uns nach Kräften bemühen, weitere große Sportevents in die Stadt zu holen. Das tut Düsseldorf gut!

Vielen Dank für das Interview Herr Dr. Keller!

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